Die Welt, 17. Dezember 2007
Die
Blumenkinder und der Reiz von Goa
Von Norbert Lossau
Sein Hippie-Image weiß der indische Bundesstaat
geschickt zu vermarkten. Die Blumenkinder von einst reisen heute mit
ihrem Nachwuchs nach Goa. Und sie finden immer noch ein Küste vor,
die 80 Kilometer feinen Sandstrand bietet. Von dem gewissen Kick exotischer Landschaft ganz zu
schweigen.
Eigentlich
herrscht Linksverkehr auf Goa. Doch die hupenden Autos, Mopeds,
Kleinbusse und Laster nutzen auf den Straßen jede sich bietende Lücke,
sodass in dem Durcheinander auf den ersten Blick gar nicht zu
erkennen ist, ob denn Rechts- oder Linksverkehr gilt. Mit
unvermittelt auf der Straße stehenden, ausgemergelten Kühen muss
ohnehin jederzeit gerechnet werden. Und zu Fahrbahnverengungen kommt
es immer wieder auch, weil Frauen in langen, farbenfrohen Gewändern
Reis auf der asphaltierten Straße trocknen.
Einem
Europäer mag diese exotische Hektik typisch indisch erscheinen. Für
die meisten Inder ist die Provinz Goa jedoch ein Ort paradiesischer
Ruhe, an dem sich Menschen aus Bombay oder Delhi von ihrem lauten
und aggressiven Alltag erholen. Hier sollen sogar, so eine alte
Hindulegende, bereits die Götter Urlaub gemacht haben.
Verständlich,
denn der kleinste Bundesstaat Indiens, nur so groß wie Luxemburg,
ist eine grüne Oase am Arabischen Meer. Die Küste bietet mehr als
80 Kilometer feinen Sandstrand, die exotische Landschaft ist überaus
facettenreich, und die Tropensonne lacht vom Himmel, wenn nicht
gerade Monsunzeit ist. Es sind aber nicht nur Natur und Klima, die
Goa besonders machen. Einzigartig wird es erst durch seine Menschen
und seine Geschichte.
Kirchen
und Hindutempel friedlich nebeneinander
Jeder
vierte Goaner ist katholischer Christ. Besonders in Alt-Goa und
Panaji, der früheren beziehungsweise der heutigen Hauptstadt, gehören
Kirchen zum Stadtbild. Insgesamt gibt es 167 katholische Gotteshäuser
in Goa. Christliche Symbole findet man auch auf Kacheln an Hauswänden
oder in Schreinen am Straßenrand. Dabei existieren hier,
einzigartig, Kirchen und Hindutempel friedlich und wie selbstverständlich
nebeneinander.
Die Anfänge
des Christentums in Goa waren weniger friedlich. Nachdem die
Portugiesen 1510 Goa als strategisch wichtigen Hafen und
Handelsplatz für Gewürze und Seide eroberten, brachten sie aus
Europa den katholischen Glauben mit, gleichsam in der einen Hand das
Schwert, in der anderen das Kreuz. Wer sich nicht bekehren ließ,
dem drohte die Inquisition. So wurde Goa zu einer kleinen
christlichen Enklave an der Westküste Indiens. Bereits im 17.
Jahrhundert lebten in der reichen portugiesischen Kolonie 300.000
Menschen. Militärischer Druck Indiens zwang Portugal 1961, seinen
Herrschaftsanspruch nach viereinhalb Jahrhunderten aufzugeben. Die
meisten Portugiesen verließen Goa. Heute hat der Bundesstaat Goa
1,4 Millionen Einwohner, rund 3000 davon sind Portugiesen.
,,Goa war der erste Ort auf diesem Planeten, an dem
sich die westliche und östliche Kultur begegnet sind“, erklärt
der Jesuitenpater Délio de Mendonca, der in Alto Porvorim ein
Zentrum für historische Forschung leitet. Ein
Museum und eine Bibliothek bieten dort Einblicke in die
portugiesische Vergangenheit. Diese habe großen Einfluss auf die
Architektur, die Kunst, aber auch auf den Charakter der Menschen
gehabt. ,,Die Goaner können sich in der ganzen Welt gut adaptieren”,
sagt der Jesuitenpater. Viele von ihnen hätten deshalb gute Jobs im
Ausland gefunden, zum Beispiel im portugiesischsprachigen Brasilien.
Aber auch in Goa selbst eröffnet der wachsende Tourismus den
freundlichen und stets gelassen wirkenden Goanern viele Perspektiven.
Und dann
kamen die Hippies
Bald
darauf entdeckte die Hippiebewegung dieses Land als ihren Garten
Eden. Die Blumenkinder und 68er genossen unter der tropischen Sonne
jene Freiheiten, die ihnen ihre Heimatländer so nicht zugestehen
wollten. Noch heute erinnert der sogenannte Hippiemarkt an jene
wilden Zeiten.
Viele in
die Jahre gekommenen Ex-Hippies nutzen die inzwischen komfortablen
Flugverbindungen, um sich nostalgisch an die legendären 60er- und
70er-Jahre erinnern zu lassen. Andere wiederum reisen mit Bergen von
Koffern an und sind entschlossen, das sechs Monate gültige
Touristenvisum zum preiswerten Überwintern in Goa auszunutzen. Auf
den Märkten, etwa in Mapusa, kann man Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse
umgerechnet zu Centbeträgen einkaufen. Hotelzimmer (mit
zweifelhaftem Standard) gibt es schon für vier Euro pro Nacht.
Natürlich
kann man in Goa auch Luxusurlaub in einem der insgesamt neun Fünfsterneresorts
machen. Das vor 25 Jahren eröffnete Taj-Hotel ,,Fort Aguada Beach
Resort“, direkt hineingebaut in ein historisches Fort, war die
erste Anlage dieser Kategorie. Heute ist Taj mit vier Hotels und
insgesamt 400 Zimmern der größte Hotelanbieter.
Das
Spektrum möglicher Urlaubsaktivitäten ist vielfältig: eine
Trekkingtour durch den Dschungel machen, mit der von den Portugiesen
erbauten Eisenbahnlinie fahren, Wassersport treiben, Delfine von
Booten aus beobachten, ein Museum für goanische Kunst besuchen.
Was wäre
Indien ohne Ayurveda?
Oder auch
interessante Menschen kennenlernen: In einem 400 Jahre alten, palastähnlichen
Landhaus in Loutolim lebt die 70-jährige Maria Lourdes. Diese
fidele Dame mit portugiesischem Pass, die abwechselnd je ein halbes
Jahr in Goa und Portugal lebt, kommt von der Vergangenheit nicht los.
Um ihren Besitz samt indischem Diener halten zu können, vermietet
sie an Touristen Zimmer in ihrem bewohnbaren Museum mit
portugiesischen Möbeln, chinesischem Porzellan und Kunstgegenständen.
Sie empfängt auch Besucher, um für sie zu kochen und stundenlang
über Politik und die portugiesische Vergangenheit Goas zu plaudern.
Weil die Zeiten schwer seien, will sie nun auch noch mit der Zucht
von Truthähnen und Schweinen beginnen.
Goa gehört
zu Indien, und zu Indien gehört Ayurveda. Wer sich also mit
Synchronmassagen und Ölstirngüssen verwöhnen lassen will, wird
dazu Gelegenheit haben. Das Angebot reicht von der Baracke am Straßenrand
bis hin zum Luxus-Spa.
Für
einen typischen Europäer mag das vergleichsweise saubere, ruhige
und wohlhabende Goa als ein mit europäischen Einflüssen verdünntes
,,Indien light“ erscheinen. Man kann es auch anders sehen. Die
indische Hotelmanagerin Ananja Sinha sagt: ,,Für mich ist Goa ein
,Portugal light‘.“ |