SPIEGEL ONLINE - 07. März 2007
Erbe der Blumenkinder
Von Bernd Kubisch, gms
Techno statt
Flowerpower-Sound, Rentner statt Hippies - Goa, das
Traveller-Paradies der Sechziger, ist entzaubert. Doch noch immer
sind die Strände in Indiens kleinstem Bundesstaat nicht überfüllt,
und jeden Besucher betören die Farben und Gerüche der bunten Märkte.
Panaji - Die ersten
Hippies kamen in den sechziger Jahren nach Goa, die ersten deutschen
Pauschalurlauber folgten in den Achtzigern. Heute überwintern am
Arabischen Meer preiswert Rentner aus Wuppertal und Dresden, und
Briten schenken in ihren Kneipen Ale und Guinness aus. Auf begrünten
Hügeln und am Strand entstehen zwischen Kokospalmen und Reisfeldern
weitere Luxushotels. Indische Filmstars entspannen sich in ihren
Villen. Auch manche ihrer Kollegen aus Hollywood haben in Goa schon
ruhige Tage verbracht.
In der bis 1961
portugiesischen Kolonie leben noch heute neben Hindus viele
Katholiken. Der Lebensstandard ist für indische Verhältnisse hoch,
aber riesige Einkaufszentren oder "Ladybars" gibt es nicht.
Auch Kampftrinker-Wettbewerbe mit lautem Gegröle sind in Goa bisher
unbekannt. Trotzdem ärgert sich mancher Einheimische über das
dreiste Auftreten einiger Gäste: Auf Rave-Partys dringt an
vermeintlich einsamen Stränden ohrenbetäubende Musik aus großen
Lautsprechern und raubt Fischern und Schulkindern den Schlaf. Dann rückt
schon mal die Polizei an, denn Ruhestörung, Joints und
Haschpfeifchen werden heute nicht mehr geduldet. Die Ordnungshüter
schreiten meist rigoros ein.
Jede Woche mittwochs
treffen sich alle Schichten am Anjuna-Beach auf dem Flea Market,
auch "Hippie Market" genannt. Dann duften Curry, Zimt und
Kardamom aus geöffneten Säcken. An einem Lieferwagen ist ein großer
Wandbehang in Rosa, Blau und Gold mit gestickten Elefanten
aufgespannt. Vielfarbige Saris tanzen, von einer frischen Brise
erfasst, an Kleiderständern aus Plastik und Bambus. Frauen und Männer
aus ärmeren nördlichen Regionen wie Kaschmir und Rajasthan haben
auf bunten Tüchern im Sand und auf dem Rasen Kleidung und
Kunsthandwerk ihrer Heimat ausgebreitet. Aber auch ein Alt-Hippie
aus New York mit langen, angegrauten Haaren verkauft Sandalen, weite
Hosen und Blusen.
Viele Besucher kaufen
gar nichts auf dem Markt. Sie kommen, um zu sehen und um - im lässigen
Beach-Outfit - gesehen zu werden. Im Strandrestaurant genießen sie
Rührei, Müsli, Krabbensalat und eisgekühltes Kingfisher-Bier zu
sehr günstigen Preisen. Auch ein paar Rinder machen es sich im
warmen Sand vor dem mit Flechtwerk gedeckten "See Breeze"
bequem. "1961 hat mein Vater hier geöffnet", sagt Francis
Fernandes. "Reisbauern und Fischerleute tranken damals ihr Bier.
Dann kamen die Hippies und der Markt." Heute ist der Laden eine
Goldgrube. Viele Marktbesucher kehren ein, um sich den spektakulären
Sonnenuntergang anzusehen.
Langzeiturlauber mit
Haus und Garten
Am Calangute-Strand ein
paar Kilometer weiter tippeln Inderinnen in farbenprächtigen Saris
bis in Wadenhöhe ins Wasser, anndere tragen Shorts und Bikini. Eine
Ausnahme in Indien, aber die Frauen von Goa sind generell lockerer
gekleidet als in anderen Teilen des Landes. Im Ozean schwimmen
britische Urlauber. Und am Strand döst ein junges Paar aus Hamburg,
den Kopf auf dem Rucksack. Nur wenige Kilometer weiter räkeln sich
wohlhabende Touristen am Pool des "Fort Aguada Beach Resort".
Der Blick von der Anhöhe ist spektakulär: Ozean, Strand,
hochgereckte Palmen und die Ruinen der Festung. Das alles spielt
sich am nördlichen Küstenabschnitt Goas ab.
Die Strandorte wie
Arambol und Vagator mit eher schlichte n Unterkünften sowie Baga,
Calangute und Candolim mit vielen Preisklassen sind etwa 20 bis 40
Motorradminuten von Anjuna entfernt. Von der nahen Goa-Hauptstadt
Panaji fährt der Überlandbus in jedes Dorf. Morgens und
nachmittags ist er vor allem mit Schulkindern in schmucken Uniformen
gefüllt. Viele Touristen bummeln auf ihren Mietmopeds zwischen
langen Stränden, Felsküste und Fischerdörfern. Die sogenannten
Scooter können für vier oder fünf Euro pro Tag gemietet werden.
Viele Ausländer
bleiben für ein paar Monate in Goa: Sie haben meist viele Einkaufstüten
am Lenker und fahren in der Regel ohne Hast und ohne Kamera im Gepäck.
Francis Vaz arbeitet im Restaurant "Alexander" in Colva,
er rechnet vor: "Wenn ein Ausländer geschickt handelt, zahlt
er im Monat für ein Häuschen mit Garten und ein Moped zusammen
umgerechnet 300 Dollar - in der Nebensaison." Im Januar und
Dezember steigen die Preise, auch in Touristenrestaurants.
Am Colva Beach stoppen
fast alle Ausflugsbusse. Nach den historischen Kirchen und Museen
von Alt Goa - heute Weltkulturerbe -, etlichen Hindutempeln und
Festungen locken Rast, Strandspaziergang und ein Bad im Meer. Hier
im Süden Goas mit Strandorten wie Benaulim, Varca, Cavelossim oder
Mobor beziehen viele Pauschalurlauber und Luxusreisende ihr Quartier.
Sie entspannen sich im Spa und genießen Ayurveda-Behandlungen.
Bekannte Hotel-Ketten wie Holiday Inn, Radisson, Hyatt und Ramada
sind präsent. Die Strände sind hell und feinsandig, manchmal auch
mit Palmen bestückt und für viele Urlauber sicher ein Traum. Das
Wasser ist aber nicht so türkisfarben wie in Teilen Thailands, auf
den Malediven, Aruba oder Tobago, wo es schützende Riffe und
spektakuläre Tauchgründe gibt. Als einer der schönsten Palmenstrände
Goas gilt im Südzipfel Palolem.
"Bitte respektiert
unsere Sitten"
Goa macht wegen seiner
kolonialen Vergangenheit auch heute noch viele Ausnahmen. Etliche
alte Häuser sind mit großen Veranden, Säulen und breiten Treppen
im alten Stil gebaut. Und der Alkohol fließt hier preiswerter und
ist auch - anders als sonst in Indien - in fast jedem
Lebensmittelgeschäft zu kaufen. Von den etwa 140.000
Indien-Urlaubern aus Deutschland reisen jährlich knapp 30.000 nach
Goa. "Die Tendenz ist steigend", sagt Honorarkonsulin
Cecilia Menezes in Panaji. Bis zu 5000 deutsche Rentner bleiben im
Winter etliche Monate in Goa.
"Wir waren früher
arm. Die Hippies brachten uns Geld. Da haben wir viel akzeptiert", erzählt
Celestino de Souza. Der 68-Jährige hat vor 40 Jahren
die ersten Zimmer seiner "Villa Bomfim" in Baga an die
"Blumenkinder" vermietet. "Da hinten waren unsere
kleinen Bungalows. Da haben die plötzlich nackt im Garten getanzt,
später auch am Strand", erinnert sich der Hotelier. Dann gibt
er seinem Gast eine Botschaft auf den Weg: "Wir freuen wir uns
über alle Urlauber, ob reich oder nicht, ob in Rente oder im Stress.
Ihr werdet mit offenen Armen empfangen. Aber bitte respektiert
unsere Sitten und Kultur." |