Süddeutsche Zeitung, 20.05.2007
Hippie-Paradies Goa
An den Stränden der
Blumenkinder
Die
Sitten sind lockerer in Goa als im Rest von Indien. Mit dem dreisten
Auftreten vieler Gäste gibt es trotzdem Probleme.
Die
ersten Hippies kamen in den sechziger Jahren nach Goa, die ersten
deutschen Pauschalurlauber folgten in den Achtzigern. Heute überwintern
in Goa preiswert Rentner aus Wuppertal und Dresden, und Briten
schenken in ihren Kneipen Ale und Guinness aus.
Auf begrünten Hügeln und am Strand entstehen zwischen
Kokospalmen und Reisfeldern weitere Luxushotels. Indische Filmstars
entspannen sich in ihren Villen.
In der bis 1961 portugiesischen Kolonie leben noch
heute neben Hindus viele Katholiken. Der Lebensstandard ist für
indische Verhältnisse hoch, aber riesige Einkaufszentren gibt es
nicht. Auch Kampftrinker-Wettbewerbe mit lautem Gegröle sind in Goa
bisher unbekannt.
Dennoch ärgert sich mancher Einheimische über das
dreiste Auftreten einiger Gäste: Auf Rave-Partys dringt an
vermeintlich einsamen Stränden ohrenbetäubende Musik aus großen
Lautsprechern und raubt Fischern und Schulkindern den Schlaf. Die
Polizei rückt an und schreitet meist rigoros ein.
Mittwochs steht am Anjuna-Beach der Flea Market an,
auch „Hippie Market“ genannt. Curry, Zimt und Kardamom duften
aus geöffneten Säcken. Frauen und Männer aus ärmeren nördlichen
Regionen wie Kaschmir und Rajasthan haben auf bunten Tüchern im
Sand und auf dem Rasen Kleidung und Kunsthandwerk ihrer Heimat
ausgebreitet.
Ein Alt-Hippie aus New York mit langen, angegrauten
Haaren verkauft Sandalen, weite Hosen und Blusen - alles gebrauchte
Sachen.
Viele Besucher kaufen gar nichts auf dem Markt. Sie
kommen, um zu sehen und um - im lässigen Beach-Outfit - gesehen zu
werden. Im Strandrestaurant laben sie sich an Rührei, Müsli,
Krabbensalat und eisgekühltem Bier.
Am Calangute Strand ein paar Kilometer weiter tippeln
Inderinnen in farbenprächtigen Saris bis in Wadenhöhe ins Wasser.
Andere tragen Shorts und Bikini. Die Frauen in Goa sind generell
lockerer gekleidet als in anderen Teilen Indiens.
Am Strand döst ein junges Paar aus Hamburg, den Kopf
auf dem Rucksack. Wenige Kilometer weiter räkeln sich wohlhabende
Urlauber am Pool des „Fort Aguada Beach Resort“. Der Blick von
der Anhöhe ist spektakulär: Ozean, Strand, hochgereckte Palmen und
die Ruinen der Festung. Das alles spielt sich am nördlichen Küstenabschnitt
Goas ab.
Strandorte wie Arambol und Vagator mit eher schlichten
Unterkünften sowie Baga, Calangute und Candolim mit vielen
Preisklassen sind etwa 20 bis 40 Motorradminuten von Anjuna entfernt.
Von der nahen Goa-Hauptstadt Panaji fährt der Überlandbus in jedes
Dorf. Morgens und nachmittags ist er vor allem mit Schulkindern in
schmucken Uniformen gefüllt.
Die Ausländer, von denen viele gleich für ein paar
Monate in Goa bleiben, sind leicht zu erkennen: Sie haben meist
mehrere Einkaufstüten am Lenker ihrer Mietmopeds und fahren in der
Regel ohne Hast und ohne Kamera im Gepäck.
Francis Vaz arbeitet im Restaurant „Alexander“ in
Colva und rechnet vor: „Wenn ein Ausländer geschickt handelt,
zahlt er im Monat für ein Häuschen mit Garten und ein Moped
zusammen umgerechnet 300 Dollar - in der Nebensaison.“
Am Colva Beach stoppen fast alle Ausflugsbusse. Nach
den historischen Kirchen und Museen von Alt Goa - heute
Weltkulturerbe -, etlichen Hindutempeln und Festungen lockt ein Bad
im Meer.
Hier im Süden Goas mit Strandorten wie Benaulim, Varca,
Cavelossim oder Mobor beziehen viele Pauschalurlauber und
Luxusreisende ihr Quartier. Die Strände sind hell und feinsandig,
manchmal auch mit Palmen bestückt und für viele Urlauber sicher
ein Traum.
Von den etwa 140 000 Indien-Urlaubern aus Deutschland
reisen jährlich knapp 30 000 nach Goa. „Die Tendenz ist steigend“,
sagt Honorarkonsulin Cecilia Menezes in Panaji. Bis zu 5000 deutsche
Rentner bleiben im Winter etliche Monate.
„Wir waren früher arm. Die Hippies brachten uns Geld.
Da
haben wir viel akzeptiert“, erzählt Celestino de Souza. Der 68-Jährige hat vor 40 Jahren die ersten Zimmer
seiner „Villa Bomfim“ in Baga an die „Blumenkinder“
vermietet. „Da hinten waren unsere kleinen Bungalows. Da haben die
plötzlich nackt im Garten getanzt, später auch am Strand“,
erinnert sich der Hotelier.
Dann gibt er seinem Gast eine Botschaft auf den Weg:
„Wir freuen uns über alle Urlauber, ob reich oder nicht, ob in
Rente oder im Stress. Ihr werdet mit offenen Armen empfangen. Aber
bitte respektiert unsere Sitten und Kultur.“ |