STERN ONLINE - 4.
Oktober 2009
Goa: Ausverkauf des Aussteigeridylls
von
Swantje Strieder
Das
indische Goa war einst Reiseziel von Aussteigern und Hippies auf der
Suche nach Erleuchtung.
Mittlerweile
landen Chartermaschinen, Ayurveda gibt es all-inclusive und für die
reiche Klientel wurden Luxushotels gebaut.
Doch
es gibt noch Geheimtipps.
Das
Paradies - gab es das mal in Goa?
Davon ist
Sebastian, der einst ein Hippie war, fest überzeugt. Mitte der
Siebziger reiste er zum ersten Mal in die Hasch- und Hippie-Kommune.
Heute trägt der Frankfurter Konzertmanager kurz getrimmtes Grauhaar
statt langer Mähne. Er übernachtet nicht mehr in Fischerhütten ohne
fließendes Wasser, sondern eher in schmucken Boutique-Hotels.
Goa
war 450 Jahre eine portugiesische Kolonie, bevor es 1961 von Indien
annektiert wurde.
Noch heute ist Goa stolz auf beide Kulturen, auf leuchtend
weiße Barockkirchen, mächtige Forts und verfallene Fazendas und
bunte indische Tempel. Bald wurde der vergessene Küstenstreifen am
Indischen Ozean das Sehnsuchtsziel einer Generation. Die Hippies
wollten nur das Eine: aussteigen, bekifft und glücklich in den Tag
leben. Die Goaner aber lernten bald das Gegenteil - die westliche
Masche, schnelles Geld zu machen. Aus Fischerhütten wurden
Betonburgen. Irgendwann landeten die ersten Chartermaschinen und der
All-inclusive-Tourismus eroberte die kilometerlangen weißen Strände.
Klimaanlage
ersetzt wallende Gewänder
Heute reisen nicht nur Ausländer, auch immer mehr Inder aus den
Metropolen Mumbai, Dehli oder dem Pandschab nach Goa.
Im klimatisierten
Bus wird der Gast ins Vier-Sterne-Hotel transportiert, wo die
Speisekarten auf Spanisch, Deutsch und Russisch gedruckt sind.
Damals, 1976, kam Sebastian in wallenden Gewändern mit dem
Klapperbus ins Fischerdorf Calangute - nach dreifachem Übersetzen
mit der Fähre über Goas große grüne Dschungelflüsse. Hotelbuchung?
Wozu? Als Eingeweihter setzte er sich zuerst in "Alex Tea Shop", das
einzige Café im Ort, wo die tropischen Früchte liebevoll
aufgestapelt wie auf dem Münchner Viktualienmarkt lagen.
Alex
war der erste im Dorf, der eine westliche Kostbarkeit wie einen
elektrischen Rührstab besaß und damit frische Mango-Lassi oder
Ananas-Papaya-Säfte für die langhaarigen Neuankömmlinge mixte.
"Spiegeleier, Kaffee und Toast unterm kunstvoll geflochtenem
Palmdach, das war Luxus pur", schwärmt Sebastian. Und die Shilum,
die Haschischpfeife, die unter dunkelhäutigen jungen Goanern und
hellhäutigen Fremden friedlich kreiste. Ein Quartier fand sich von
selbst: Ein Junge brachte Sebastian zur Fischerswitwe Chilsu, die
dem Deutschen gerne eine leere Kammer mit Bastmatte und vier Geckos
an der Wand vermietete. Die Idylle mit Donnerbalken und grunzenden
Hängebauchschweinen im Garten kostete 45 Cent pro Tag.
Frittengeruch
statt Ingwermixtur
Goa
ist vielerorts den gnadenlos effizienten Weg des modernen Tourismus
gegangen.
Die Hippies von damals sind fort. Nur noch in Anjuna, wo mittwochs der
berühmte Flohmarkt stattfindet, haben sich ein paar eisgraue
Veteranen gehalten. Der verlockende Duft der vielen indischen
Gewürze von Kardamon, Chili- und Pfefferschoten, Kümmel über Ingwer,
Vanille und Zimt ist verflogen und hat Frittengeruch Platz gemacht.
Leere Spritzen, Plastik und Kondome sind als Strandgut geblieben.
Calangute ist zum indischen Ballermann mutiert.
Tea-Shop-Besitzer Alex besitzt ein zweistöckiges Betonhaus, grüßt
müde. Bei
ihm sitzen nur noch Trinker und Drogenabhängige, die harte Sachen
wollen, keine Fruchtsäfte. Die Fischer haben ihre Boote an Land
gezogen, wo sie als Relikte einer alten Zeit in der Sonne rotten und
ihre Hütten an Landentwickler verkauft. Sie vermieten Strandliegen
an knapp bekleidete Touristinnen. Kulturschock auf beiden Seiten.
Abends aber treffen sich Ost und West wieder, bei Apfelkuchen, Pizza
und selbst gebackenem Brot in einer der "German Bakeries", dem
besten Hippie-Nachlass unter Palmen in Anjuna und Arambol. Mit Bob
Marleys sinnlich nölender Stimme oder Bob Dylans Gitarrenläufen
kehrt ein Stück von Goas Magie zurück.
Von
der Palmenhütte bis zum Hotelpalast
Die
indische Goldküste von der Größe Schleswig-Holsteins hat sich auf
die unterschiedlichsten Urlauber eingestellt.
Für die Reichen
und Schönen aus Bollywood und Mumbai hat das Leela Palace in
Cavelossim eröffnet, ein architektonisches Kleinod mit rosafarbenen
Villen an exotischen Lagunen und hauseigener Orchideenzucht.
Betuchte Europäer mieten sich im Taj Mahal Hotel ein.
Pauschaltouristen bevorzugen die Remmi-Demmi-Orte Calangute, Baga
und Benaulim, wo sie ein Strandprogramm mit Jet skiing, Paragliding
oder Delphin Cruises erwartet. Die internationalen Backpacker haben
in den letzten Jahren Fischerorte wie Palolem im Süden oder Arambol
im Norden erobert. Aus den geheimen Geheimtipps wurden
Allerweltsziele.
In
Palolem sind die Häuser zwar noch niedriger als die Palmen, dafür
stehen die coolen Beach Clubs und Lounges so dicht an dicht, dass
die Musikliebhaber inzwischen Kopfhörer tragen, sonst würden sich
die eigenen Songs zur unentwirrbaren Kakophonie mit denen des
Nachbarn mischen.
Den immer noch
feinsandigen Palmenstrand beherrschen aufdringliche Schmuck-Händler
aus Kaschmir, Yoga-Lehrer, die attraktive Nordlichter für ganz
private Übungen suchen und zarte Ayurveda-Masseusen, die ihre Hände
tapfer in westlichen Bauchspeck krallen. Wer stillere Ufer sucht,
den zieht es in die Nachbarbuchten von Agonda oder Patnem, die noch
jenem tropischen Idyll unter Palmen gleichen, das die Hippies vor 40
Jahren erfanden. Noch werden die Adressen der kleinen Gästehäuser
hinter vorgehaltener Hand getauscht. Noch. |