DIE
WELT KOMPAKT - 30th November 2010
Wo sind die Hippies?
Author:
Stefan Felbinger
Goa ist der Sehnsuchtsort der Generation Flower-Power. Das wahre
Indien liegt im Hinterland
Blumenkinder, Techno-Freaks und Pauschalurlauber zieht es an die
legendären Strände
Das
wahre Indien liegt im Hinterland. Flirrende Hitze liegt über dem
Strand von Anjuna. Nur manchmal weht eine kühlende Brise vom Meer
herüber. Kokospalmen wie Peitschenlampen bilden einen kleinen Hain.
Zu ihren Füßen, von schütteren Palmwedeln kaum beschattet, breitet
sich jeden Mittwoch der Hippieflohmarkt von Anjuna Beach aus.
Hippies
sucht man hier allerdings vergebens. Stattdessen bittet ein
höchstens zehn Jahre altes Mädchen immer wieder: "Sir, please come
to my shop!" Der Shop, vom Bruder bewacht, besteht aus wenigen
Habseligkeiten. Auf einem Tuch im Sand ausgebreitet liegen
geflochtene Armbändchen, bunt bemalte, kleine Holzelefanten und
Aschenbecher mit Abbildungen aus dem "Kamasutra" für die Touristen,
die von Ausflugsbooten hier hergebracht werden. Ethno-Nippes für ein
paar Rupien - Pfennigbeträge -, wie er heute auf jedem alternativ
angehauchten Festival zwischen Kiel und München zu finden ist.
Die
professionelleren Händler bieten gefälschte Marken-T-Shirts für
umgerechnet fünf Euro feil. Oder bunte Saris und Safran aus
Kaschmir. Und natürlich CDs mit dem berühmten Goa-Trance. Wummernde
Techno-Beats, in den 90er-Jahren fester Bestandteil ausufernder
Partys. Raver aus der ganzen Welt kamen an die kilometerlangen
Sandstrände des kleinsten indischen Bundesstaates, tanzten am
Arabischen Meer die Vollmondnächte durch.
Es war
die zweite Blüte Goas, nachdem in den späten 60er- und 70er-Jahren
Aussteiger in die ehemalige portugiesische Kolonie pilgerten. Sie
suchten Erleuchtung, freie Liebe. Oder Bewusstseinserweiterung
mittels aller möglichen Drogen. Oder alles zusammen. Die
Blumenkinder drückten Goa den Hippiestempel auf, den das Land
einerseits so gern loswerden würde. Andererseits besteht ein Gutteil
seiner Anziehungskraft noch heute aus eben jener Faszination von
Hedonismus und Gelassenheit. Dem scheinbaren Fehlen jeglichen
Leistungsdrucks der westlichen Konsumgesellschaft. Man braucht nicht
viel, um zu überleben. Ein Curry am Straßenrand kostet umgerechnet
70 Cent.
2,4
Millionen Urlauber kommen heute jedes Jahr nach Goa. Das Gros aus
Indien selbst, 400 000 aus Übersee. Zwar gibt es sie noch, die
Aussteiger. Doch im Gewühl der Pauschaltouristen wirken die wenigen,
die geblieben sind, wie Relikte aus einer fernen Zeit.
Die
einstigen Fischerdörfer wie Calangute und Baga sind heute gleichsam
das Ibiza Indiens. Kneipen, Restaurants, Tattoo-Shops,
Massagestudios, Andenkenläden und Boutiquen reihen sich aneinander.
In den Klubs feiern europäische Touristen neben den
Wohlstandskindern aus Mumbai. Am südlichen Ende des gut 80 Kilometer
langen Strandes, am Sinquerim Beach von Bardez, liegt Fort Aguada,
eine alte portugiesische Festung.
Hier
geht es luxuriöser zu. Die nebeneinanderliegenden Ferienressorts
"Taj Holiday Village" und "Fort Aguada Beach Resort" gehören zum
Reich des Tata-Konzerns. Hier urlauben reiche indische Familien und
Europäer auf Fünfsterneniveau. Man wohnt in klimatisierten
Holzbungalows inmitten tropischer Pracht und genießt vom Pool aus
die im Meer versinkende Sonne. Schmale Treppen führen hinunter zum
feinsandigen Strand. Blickfang ist das Wrack eines Containerschiffs,
200 Meter vom Strand entfernt. Die 240 Meter lange "River Princess"
lief hier im Jahr 2000 auf Grund. Seitdem fristet sie ihr rostiges
Dasein in der Bucht als Geisterschiff und Fotomotiv.
Mit
Indien, im Besonderen mit Goa und seinem portugiesischen Erbe, hat
das alles wenig zu tun. Aber man muss nicht weit fahren, um das
ursprüngliche Goa zu finden. In Panaji zum Beispiel, der mit 100 000
Einwohnern für indische Verhältnisse geradezu putzigen Hauptstadt
des Bundesstaats. Sie liegt am Mandovi. Ein breit mäandernder Strom,
der das Delta mit vielen Inseln und Mangrovenbewachsenen Nebenarmen
stark zergliedert und für den Autoverkehr oft weite Umwege
verursacht.
Panaji
ist eine recht junge Stadt. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts stieg
sie zur Hauptstadt auf, nachdem die Portugiesen das weiter im
Landesinneren gelegene Velha Goa nach mehreren Pestepidemien
entnervt aufgegeben hatten. |